Kulturgut

Wie die Champagnerflasche erfunden wurde

Sechs Bar Luftdruck sind in einer Sektflasche. Soviel wie in einem LKW-Reifen. Lange Zeit war das zuviel für die Flaschen. Erst eine Erfindung aus Baiersbronn bedeutete die Rettung für den Champagner.

von Stefan Ruzas
Fr. 14. Dezember 2018 7

Bis ins 19. Jahrhundert wurde er „Teufelswein“ genannt, der in Flaschen vergorene Champagner. Das Glas war damals einfach noch zu schwach und der Luftdruck im Inneren so hoch, dass viel zu viele Flaschen während der Produktion regelrecht explodierten. Auch wegen des flachen Flaschenbodens. Spätestens während des zweiten Gärvorgangs gingen den Weingütern deswegen bis zu 90 Prozent der Füllungen verloren. Und die Kellermeister trugen damals während der Arbeit zum Schutz meist eiserne Masken. Einer, der es unbedingt anders machen wollte, war Georg Christian von Kessler. Er begann seine Karriere als Buchhalter bei Veuve Cliquot im französischen Reims, bis er irgendwann nicht nur Prokura und Anteile bekam, sondern auch Geliebter der Chefin wurde. Zurück in seiner Heimatstadt Esslingen gründete Kessler 1826 die erste Sektkellerei Deutschlands. Der standesgemäße Sitz: ein Prachtbau aus dem 13. Jahrhundert, der Speyrer Pfleghof. Kessler handelte erfolgreich mit Stoffen und Wolle – aber er wagte mit seinem Wissen über die traditionelle Champagner-Methode auch eine erste Sektproduktion: 8000 Flaschen, von denen gleich 4000 zerbrachen. Was also tun? Wie könnte der Champagner nur lernen, dem Druck standzuhalten?

"Alle wollten diese Flaschen mit dem Stülpboden – den berühmten Buhlbacher Schlegel"

Da gab es doch diese Glashütte in Buhlbach im Baiersbronner Tal. Gut lief sie ja nicht gerade, aber die Eigentümer – Johann Georg Böhringer und sein Kompagnon Franz K. Klumpp – versprachen, neue Formen auszuprobieren. Eine Idee: Wenn der Boden eine größere Fläche hätte, müsste sich der Druck, der sich in der Flasche entwickelt, doch eigentlich auch auf diese größere Fläche verteilen und die Flasche wäre so stabiler. Und tatsächlich: Der bruchsichere „Buhlbacher Schlegel“ war geboren. Während anderswo Glashütten dichtmachten, konnten sich die raffinierten Erfinder aus dem Nordschwarzwald schon wenige Jahre später kaum noch vor Aufträgen retten: Henkel, Kupferberg und natürlich Kessler. Alle wollten diese Flaschen mit dem Stülpboden. 1845 wurden in Buhlbach schon eine Million Flaschen produziert – mundgeblasen, wohlgemerkt – und in Stroh verpackt als Chargen mit jeweils 104 Flaschen auf Pferdefuhrwerken in die Ferne exportiert.

Weil die Glasofen sowieso glühten, entstanden neben Flaschen irgendwann auch Gläser, Vasen und medizinische Hohlgläser. Bis zu 1000 unterschiedliche Produkte wurden es schließlich. Und später auch zwei Millionen Champagnerflaschen jährlich. 80 lange Jahre ging das so. Es war der Beginn der bis heute bekannten Unternehmer-Dynastie der Böhringers, denen unter Anderem auch Pharma- und Chemiefabriken gehören. Bis zu 500 Menschen im Baiersbronner Tal lebten in einer Zeit von großer Armut durch die Glashütte und den Erfolg des Buhlbacher Schlegels recht gut.

 

Drei Fragen an...

 ...Christopher Baur, geschäftsführender Gesellschafter von Kessler, der ältesten Sektkellerei Deutschlands.

Was wäre Kessler Sekt ohne den „Stülpboden“ und ohne den Baiersbronner Ortsteil Buhlbach?

Kessler wäre wahrscheinlich schon lange keine Sektkellerei mehr. Denn vor der Erfindung des "Buhlbacher Schlegels" – dessen wichtigste Innovation eben jener Stülpboden war – explodierten regelmässig bis zur Hälfte der gelagerten Sektflaschen. Wirtschaftlich war das eine Katastrophe und natürlich auch, was die Betriebssicherheit betrifft. Deshalb hat der Firmengründer Georg Christian von Kessler zusammen mit der Hohlglashütte Buhlbach eine solidere Flasche entwickelt, die dann Branchenstandard wurde.

Stimmt es wirklich, dass Ihre Firma die „Piccolo“-Flasche erfunden hat?

Die Quart-Flasche an sich wohl nicht, aber das Piccolo-Format von Kessler findet man schon Ende des 19. beziehungsweise Anfang des 20. Jahrhunderts auf Getränkekarten. Piccolo bedeutet ja »klein« auf Italienisch, aber auch Jungkellner wurden so bezeichnet. 1904 kreierte der Simplizissimus-Zeichner Josef Benedikt Engl für das Haus Kessler ein Werbeplakat mit zwei dieser Piccolos. Diese beiden flinken Kellner werden von der Sektkellerei heute noch als Werbezeichen eingesetzt. In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es einen Streit mit einem von Kesslers Konkurrenten, den man schließlich beilegte, indem Kessler den Begriff “Piccolo” mit zwei “c” behielt und der Wettbewerber “Pikkolo” mit zwei “k” benutzen durfte.

Was finden Sie eigentlich an Baiersbronn am prickelndsten?

Die Luft, die Landschaften, die Offenheit der Einheimischen und natürlich die kulinarischen Möglichkeiten.

Stefan  Ruzas
Stefan Ruzas

Der gebürtige Düsseldorfer wohnt seit 30 Jahren in München und hat zwei Kinder. Er schreibt als Autor für Titel wie FOCUS, Süddeutsche Zeitung, Welt am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung oder die Zeit. Er ist Gründer des modernen Bergmagazins Monte und Dozent an der Akademie der Deutschen Medien.

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