Natur

Brüchige Kronen – Wenn der Wald am Klimawandel leidet

Wir verlieren Wald. Jährlich, täglich, stündlich. Und das hat katastrophale Folgen. Projekte wie der Nationalpark Schwarzwald geben Hoffnung. Denn hier bleibt der Wald unberührt und die Natur darf sein, wie sie ist: wild und magisch.

von Franziska Polthier
Di. 22. Juni 2021

Der Wald ist eines der wichtigsten Ökosysteme unseres Planeten. Ohne Wald ist ein Leben auf der Erde unmöglich – zumindest für den Menschen. Dennoch betreiben wir Raubbau an ihm. Täglich. Rund 4,7 Millionen Hektar Waldfläche hat unsere Erde laut der Welternährungsorganisation (FAO) von 2010 bis 2020 verloren. Jährlich. Menschenverschuldet. Das entspricht in etwa der Größe Niedersachsens. Ein Großteil davon wird im Regenwald geschlagen. Allein 2017 wurden im Amazonas 40 Fußballfelder Regenwald gerodet – pro Minute. Doch auch bei uns in Deutschland hat der Wald mit folgenreichen Problemen zu kämpfen.

Die positive Nachricht: weltweit sinkt die Rate des jährlichen Waldverlustes und der Anteil der geschützten Waldfläche wird größer: 18 % des globalen Waldbestandes stehen derzeit unter Schutz – immerhin die 20-fache Fläche Deutschlands. Hierzulande werden bereits knapp 2 % der Waldfläche nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt und in 13 Nationalparks steht der Wald unter besonderem Schutz. So dürfen beispielsweise im Nationalpark Schwarzwald die Bäume ungestört wachsen, sterben und vergehen.

Im Jahr 2017 wurden im Amazonas 40 Fußballfelder Regenwald gerodet – pro Minute.

Klima und Wald: Warum der Wald so wichtig für uns ist

Die Wälder sind die Lungen der Erde. Gesunde, intakte Wälder sind in der Lage, gigantische Mengen Kohlenstoff aus der Luft zu filtern und – im besten Fall – über Jahrzehnte hinweg zu speichern. Im Jahr 2017 filterten deutsche Wälder circa 62 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre – und nahmen so sieben Prozent der deutschen Jahresemission auf. Wie dieser globale Kohlenstoffkreislauf funktioniert, zeigt das Max-Planck-Institut ganz anschaulich hier:

Die Bedeutung funktionierender Waldsysteme für den Kampf gegen den Klimawandel ist demnach nicht zu vernachlässigen. Und zum Erhalt des Waldes kann jeder einzelne etwas beitragen. Kleine, aber bewusste Veränderungen im Alltag können den eigenen CO2-Abdruck reduzieren und in der Masse viel bewirken. In Zeiten von Amazon und Co wird einem alles per Mausklick geliefert. Und genauso schnell wieder retourniert. Verlockend und komfortabel. Doch der Online Handel ist Segen und Fluch. Die unzähligen Verpackungskartons entstehen oft auf Kosten unserer Urwälder. Der Müll der Retouren verschmutzt unseren Planeten weiter.

Der Meeresschutzorganisation Oceana zufolge gelangten 2019 bis zu 10 Millionen Kilogramm Amazon-Plastikmüll in die Weltmeere. Das entspricht einer LKW-Ladung alle 70 Minuten.

Der Wald ist nicht nur als Klimaschützer unentbehrlich, er erfüllt unzählige Funktionen im Zusammenspiel zwischen Mensch, Tier und Natur:

Der Wald in Deutschland: Wo zeigt sich hier der Klimawandel?

Zu Beginn des Mittelalters war Deutschland noch zu etwa zwei Dritteln mit Wald bedeckt. Heute sind es nur noch lediglich rund 30 %. Und die verbliebene Waldfläche leidet. So erhöhen beispielsweise immer längere und intensivere Dürreperioden die Waldbrandgefahr. Mit über 1.500 Bränden deutschlandweit war 2019 ein überdurchschnittliches Waldbrandjahr. Auch für die kommenden Jahrzehnte sagen Risikountersuchungen aufgrund erhöhter Temperaturen und nachlassenden Niederschlägen ein steigendes Waldbrandrisiko voraus.

79 % aller deutschen Bäume wiesen im Jahr 2020 Schäden auf – das ist der schlechteste Wert seit Beginn der Auswertung im Jahr 1984. (BMEL)

Und das sind nicht die einzigen Probleme des deutschen Waldes. Jahrhunderte lang wurde der Wald gedankenlos abgeholzt. Nachgepflanzt wurden lediglich Nutzbäume – in erster Linie Fichten und Kiefern – die als Holzlieferant dienen. Die Folge: Monokulturwälder, die heute rund ein Viertel des Waldbestandes ausmachen. Nutzwälder sind besonders anfällig gegenüber Schädlingen, Krankheiten und Trockenperioden. Leichtes Spiel für den Borkenkäfer: in den von Dürren geschwächten Fichtenwäldern breitet er sich ungehindert aus. Ohne Wasserreserven haben die Nadelbäume keine Abwehrreaktionen gegen den Eindringling. So sind laut Analyse des Bundeslandwirtschaftsministeriums von 2019 auf 2020 rund 4,3 % aller beobachteten Fichten abgestorben.

Glücklicherweise ist Rettung des Waldes inzwischen in vielen politischen Programmen angekommen. Und auch in den Köpfen der Menschen hat sich das Bewusstsein für einen gesunden Wald festgesetzt. In Deutschlands größter Waldlandschaft, dem Schwarzwald, ist der Nationalpark Schwarzwald rund um Baiersbronn das Aushängeschild für mehr Wildnis in den heimischen Wäldern.

Eine Spur wilder im Schwarzwald

Den Schwarzwald kennt wohl jedes Kind in Deutschland. Mystische Waldlandschaften, dicht an dicht stehende Bäume, wilde Waldtiere – eben ein richtiger Bilderbuch-Wald. So zumindest die Vorstellung vieler. Im Nationalpark Schwarzwald wird diese Fantasie Realität. In der Region rund um die Gemeinde Baiersbronn wird die Natur Stück für Stück sich selbst überlassen und der Wald wieder wilder.

Der 2014 gegründete Nationalpark erstreckt sich auf zwei Abschnitten auf insgesamt rund 10.000 Hektar zwischen Baden-Baden und Freudenstadt und stellt damit 1,67 % des Schwarzwalds unter besonderen Schutz. Hier, im Südwesten Baden-Württembergs, soll sich der Wald auf natürlichem Wege und frei von menschlichen Eingriffen entfalten können.

BAI_Online Mag_NP_(c)David Lohmüller
© David Lohmüller
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© David Lohmüller
BAI_Lotharpfad_(c)David Lohmüller
© David Lohmüller

Für Besucher erlebbar wird das Konzept des wilden Waldes auf dem Lotharpfad. Seit im Jahr 1999 der Orkan „Lothar“ eine tiefe Schneise durch die Gipfel des nördlichen Schwarzwalds gepflügt hat, wurde der Wald an dieser Stelle wieder sich selbst überlassen. Bereits heute laufen Gäste auf dem Lotharpfad durch wilde Natur.

BAI_Lotharpfad_(c)David Lohmüller
© David Lohmüller

Auf lange Sicht werden drei Viertel der Fläche des Nationalparks ganz der Natur und ihren eigenen Prozessen übergeben. Um diese sogenannten Kernzonen herum, bleibt zum Schutz der umliegenden Wälder eine Managementzone bestehen. Hier kümmern sich Nationalpark Ranger um einen gesunden Wald und ihre Bewohner.

BAI_Online Magazin_NP Schwarzwald_(c)David Lohmüller
© David Lohmüller
BAI_Online Magazin_NP Schwarzwald_(c)David Lohmüller
© David Lohmüller

Das neue Nationalparkzentrum am Ruhestein

Wie riesige Totholzstämme in Übergröße zeigt sich das neue Nationalparkzentrum am Ruhestein. Um Besucher, aber auch Einwohner, für den Wald und den Nationalpark zu sensibilisieren, entsteht hier eine Anlaufstelle für alle, die mehr über den Wald und seine Bewohner erfahren möchten. Perfekt integriert in die umliegende Natur, wurde das barrierefreie Gebäude so in den Wald eingepasst, dass möglichst wenig Bäume weichen mussten. „Zum Teil wurden die Gerüste tatsächlich um einzelne Bäume herumgezirkelt“, erzählt der Leiter der Besucherinformation im Nationalpark, Charly Ebel. Seit Mitte Juni 2021 vermittelt hier eine interaktive Ausstellung mit modernsten Mitteln umfangreiches Hintergrundwissen zum wilder werdenden Wald im Nationalpark. Der 34 Meter hohe Aussichtsturm und der Skywalk erlauben Besuchern einen Ausblick auf den etwa 120 Jahre alten Tannen- und Fichtenwald. Gut informiert lassen sich von hier aus Erkundungstouren durch den Nationalpark Schwarzwald starten – geführt oder auf eigene Faust.

Auf die Erholung des Waldes: Wie können wir zu einem nachhaltigen Umgang mit dem Wald beitragen?

Dass wir unsere Wälder aufforsten müssen, steht wohl außer Frage. Forscher der ETH Zürich fanden heraus, dass uns weltweit eine Fläche von 900 Millionen Hektar zur Verfügung steht, die sich potenziell als Waldfläche eignet. Also grundsätzlich gute Neuigkeiten. Und auch die Möglichkeiten sind da: Heutzutage gibt es zahlreiche Initiativen, die Bäume pflanzen und dem Absterben der Wälder entgegenwirken wollen. Ob beim Kauf eines Produktes, gegen Spenden oder wie im Falle von Ecosia einfach durch das Nutzen der Suchmaschine: Bäume pflanzen kann inzwischen jeder, quasi per Mausklick. Doch sind solche initiativen oft nur Tropfen auf den heißen Stein. Denn was in der Theorie gut klingt, ist in der Praxis dann doch kompliziert. So dauert es Jahrzehnte, bis ein Baum eine signifikante Klimaschutzwirkung zeigt. Außerdem ist diese Wirkung stark abhängig von der Art der gepflanzten Bäume. Wir müssen also vor allem bestehenden Wald retten und ihm Zeit und Raum geben, sich wieder frei zu entfalten. Und mehr noch: den Wald als existenziellen Lebensraum wertschätzen und ihm den Respekt entgegenbringen, der ihm zusteht. Projekte wie der Nationalpark Schwarzwald sind dabei ein wertvoller Schritt in die richtige Richtung.

Buchcover_Rettet die Wälder

Tiefer eintauchen in unserer Wälder

Bereits seit Jahren fordert Georg Meister, ehemals Forstamtsleiter in Bad Reichenhall, ein Umdenken im Umgang mit dem Wald und den Anbau naturnaher und nachhaltiger Mischwälder. Im Sommer 2021 erscheint mit „Rettet unsere Wälder!” sein zweites Buch, in dem er aufzeigt, was für eine nachhaltige Waldwende zu tun ist.

Als E-Book: 14,00 €

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