Kulturgut

Der Neubeginn des deutschen Motorsports

1946 fand in Baiersbronn das erste Ruhestein-Bergrennen statt. Mit der Baiersbronn Classic erinnert jedes Jahr eine historische Rallye an diesen Tag.

 

von Martin Walter
Mo. 20. Juli 2020

Entgegen aller landläufigen Vorstellungen ist der Schwarzwald eine Region, die seit den „Roaring Twenties“ auf das Engste mit dem Motorsport verbunden ist. Ihre Topografie und verkehrstechnische Infrastruktur bietet geradezu ideale Strecken für Bergrennen. Diese Voraussetzungen machte man sich 1946 auch in Baiersbronn zu nutze.

 

Über 30.000 Zuschauer waren an diesem Sommertag im Juli 1946 nach Baiersbronn und an die Rennstrecke in Richtung Ruhestein gekommen. Über 100 Fahrer hatten sich zum ersten deutschen Bergrennen nach dem Zweiten Weltkrieg im Schwarzwald eingefunden. Aufgerufen hierzu hatte die eigens für die Organisation des Ruhestein-Bergrennens gegründete Süddeutsche Motor-Rennfahrer-Vereinigung (SMRV) unter Vorsitz von Kurt Nitschky. Nicht einmal 15 Monate waren seit dem Ende des unsäglichen Krieges vergangen, hinzu kam in jenen Tagen die ungenügende Versorgungslage in fast allen Bereichen des täglichen Lebens. Lebensmittel, Brennholz, Dinge des täglichen Bedarfs konnten nur mit zugeteilten Marken oder Bezugsscheinen und meist nur unter extremen Schwierigkeiten eingekauft bzw. organisiert werden. Und doch gab es die Unentwegten, die Motorsportbegeisterten, die im Sommer 1946 ein einzigartiges Bergrennen auf die Beine stellten, das mit 8.000 Meter Streckenlänge und einer zu bewältigenden Höhendifferenz von gut 500 Metern sehr anspruchsvoll und schnell angelegt war. Nur mit der engagierten Hilfe und der tatkräftigen Unterstützung der französischen Besatzungsarmee, zu der Kurt Nitschky beste Kontakte pflegte, konnte das motorsportliche Großereignis Wirklichkeit werden.

„Das erste Nachkriegsrennen in Deutschland gestaltete sich dank der hervorragenden Organisation und der großzügigen Unterstützung durch die Französische Militärregierung zu einem vollen Erfolg. Selbst wenn man einen kritischen Vorkriegsmaßstab anwendet, können Veranstalter und Fahrer glänzend bestehen.“
Martin Walter

Nachdem im Juni 1946 die Entscheidung für die Durchführung des Rennens gefallen war, lief umgehend die „Werbemaschinerie“ in den westlichen drei Besatzungszonen an. Zudem schrieb die SMRV die damals bekannten Ausweis- und Lizenzfahrer an, informierte über die Veranstaltung und gab Hilfestellung darüber, wie mit den Besatzungsbehörden umzugehen sei. Die Fahrer hatten mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen: Manches Teil fehlte und wurde doch mit viel Improvisationstalent „organisiert“. Ebenso geriet die Beschaffung von Benzin, Bremsbelägen, Motoröl oder Dichtungen zu einer in vielen Fällen kaum zu lösenden Aufgabe. Nur so ist es zu erklären, dass viele der gemeldeten Sport- und Rennwagen ausfielen oder gar nicht erst antreten konnten.

Zeitdruck, Materialmangel und eine unberechenbare Strecke

Die Rennstrecke von Baiersbronn zum Kurhaus Ruhestein war nicht einfach zu fahren. Auch wenn sie von zahlreichen Helfern bestens vorbereitet wurde, so war sie an einigen Stellen doch unberechenbar. Fünf Spitzkehren sorgten zudem für entsprechende fahrerische Anforderungen. Leitplanken oder ein nur in etwa den heutigen Ansprüchen genügender Fahrerschutz gab es nicht. Die Zuschauer fieberten den Starts der ersten Rennfahrer mit großer Erwartung entgegen. Der jüngste Rennteilnehmer, der 18-jährige Rolf Hammer, legte schon früh in der 125er-Klasse der Ausweisfahrer eine glänzende Zeit von unter 7 Minuten vor. In der 350er-Klasse für Ausweisfahrer startete der aus Bühlertal stammende Ewald Kohler sein erstes Rennen, der mit 5 Minuten 33 Sekunden für einen Paukenschlag gegen weitaus stärker eingeschätzte Konkurrenz sorgte. Besonders interessiert verfolgten die Zuschauer den Start der Motorradgespanne. Der Nürnberger Hermann Böhm gewann souverän die Lizenzfahrerklasse bis 600 ccm und das Rennen bis 1.000 ccm auf seiner NSU.

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Die trockenen Fakten

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- Erste Motorsportveranstaltung in Deutschland nach 1945
 
- Über 30.000 Zuschauer
 
- Rund 100 Teilnehmer
 
- 500 Meter Höhenunterschied auf der ganzen Tour
 
- 8.000 Meter Streckenlänge

Mit größter Spannung wurden die Rennen bei den Sport- und Rennwagen erwartet. Zwar waren 25 Fahrzeuge gemeldet worden, aber grundlegende Probleme bei der Anreise (mangelnde Benzinzuteilungen oder das Fehlen von Reiseerlaubnissen) oder technische Unzulänglichkeiten reduzierten die Schar der Teilnehmer sehr. Zu einem fantastischen Höhepunkt geriet der Zweikampf zwischen Alex von Falkenhausen und Hermann Lang. Lang legte eine traumhafte Zeit von 4 Minuten 57 Sekunden vor und war damit Schnellster aller Renn- und Sportwagen. Wie gefährlich die Strecke war, belegen die drei tragischen Unglücksfälle. Beim Training und beim Rennen verloren insgesamt drei Motorradrennfahrer ihr Leben. Das führte allerdings nicht zum Abbruch des Rennens und war ebenfalls nicht Ursache dafür, dass die für das Folgejahr 1947 geplante Zweitauflage nicht stattfand.

Rennfieber statt Alltagsnöte

Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs waren sehr präsent. Zudem kam die wirtschaftliche Not, die auch vor dem idyllischen Schwarzwald nicht Halt machte. Insofern „platzte“ das Ruhestein-Bergrennen, diese Rückbesinnung auf normale (Vorkriegs-)Zeiten, in eine hochsensible Phase der Neuorientierung. Plötzlich waren die motorsportlichen Vorkriegshelden wieder greif- und erlebbar geworden. Zudem profitierte das Ruhestein-Bergrennen von dem motorsportlichen Nimbus der 1930er Jahre und führte dazu, dass der Wettkampf von 1946 in bester Erinnerung blieb – bis heute.

Baiersbronn Magazin_Das Ruhesteinrennen_Buch

Das Buch zum Ruhestein-Bergrennen 1946

200 unbekannte Aufnahmen lagerten lange Zeit perfekt geschützt im Archiv der traditionsreichen Presseagentur Seeger in Albstadt, ohne das die Welt etwas davon ahnte. 2008 entdeckten die Söhne des einstigen Firmengründers Erwin Seeger, Bernd und Frank, diese fast lückenlose Dokumentation. Die Brüder Seeger entschlossen sich zu einer Veröffentlichung eines großen Teiles dieses historischen „Bilderschatzes“. Dokumentiert ist dieses Ereignis durch das Buch „Ruhestein-Bergrennen 1946“, von den Autoren Frank Eberle, Hubert Huber, Roger Orlik und Martin Walter geschrieben von den Gebrüder Seeger veröffentlicht.

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